Familie Willert

Es ist Liebe – so einfach ist das.



"Hallo, ich bin Henry und ich habe zwei Mamas."

 

Das wird Henry nach dem Willen seiner Mamas einmal sagen, wenn er nach seinem Vater gefragt wird. Aber bis dahin ist noch etwas Zeit. 

 

Nächstes Jahr kommt er erst einmal in die Kita nach Ohu. Die Erzieherinnen haben Erfahrung mit seiner Familienkonstellation. Da haben sich seine Mamas schon schlau gemacht. Nur der Vaterbasteltag könnte eine Herausforderung werden. Aber vielleicht gibt’s bis dahin eine Lösung? „Bis Henry in die Schule geht, haben wir ihn mit so viel Selbstvertrauen ausgestattet, dass er die passenden Argumente hat“, sagt die Mama, die im Haushalt alles reparieren kann. „Wir möchten nicht, dass er auf Ablehnung stößt, nur weil kein Papa da ist“, sagt die Mama, die ihn zur Welt gebracht hat. Und was sagt Henry, der Wonneproppen, dazu? Er kräht vergnügt und macht sich weiter auf die Pirsch. In Mamas Küche gibt es aber auch echt viel zu entdecken! Noch eine gehört zur Familie. Unbedingt! Baily, die Schmusehündin aus Kroatien. Auf leisen Pfoten umkreist sie die Besucherin und wartet geduldig auf die Gelegenheit, den Kopf aufs Knie zu legen, um ein paar Streicheleinheiten einzuheimsen.

 

Willkommen bei den Willerts! 

Katharina, Laborantin bei Develey – kommunikativ, optimistisch, unternehmungslustig – zog 2012 beruflich von Nordrhein-Westfalen nach Bayern. Sie liebt Ausflüge in Zoos, Freizeitsparks und ausgedehnte Shoppingtouren in der Stadt.

Nina, Ausbildung zur Feinmechanikerin, Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und aktuell Filialleiterin bei DM – maulfaul (O-Ton Nina), zurückhaltend, durchorganisiert – zog beruflich von Oberfranken nach Niederbayern. Sie liebt die Natur und genießt stundenlange Waldspaziergänge.Während Katharina die Welt vom Pferderücken aus genoss und sich artistisch beim Poledance an der Stange bewegte, übte Nina sich in japanischer Selbstverteidigungstechnik. Der Gegensätze nicht genug, wuchs Katharina in einem Hochhaus in der Stadt und Nina auf dem Bauernhof in der Provinz auf. Dazu Nina: „Erst kommt lang nix, dann der Bauernhof.“

Was ziemlich konform einherging, war die Reaktion der Eltern beim Outing, wie sie später feststellten.

Während Katharinas Familie kein Problem mit gleichgeschlechtlicher Partnerschaft hatte, dachte Nina, sie würde enterbt werden und nahm zum Gespräch ihre beiden Brüder mit. Es war überraschend einfach und verlief ohne Komplikationen. Als sie Jahre später Katharina mit nach Hause brachte und ihr Vater mehr als begeistert von ihrer Freundin war, bedauerte sie, dass sie sich nicht schon früher offener ihren Eltern gegenüber gezeigt hatte.

 

Aber als sie sich bei einem Frauenstammtisch in Landshut das erste Mal begegneten, war ganz und gar nicht klar, dass das mal was werden könnte mit ihnen beiden. „Wir waren wie ein Beamter versus einer vom Wanderzirkus“, sagt Katharina. Aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an und sie wurden ein Paar.

Die Wohnungssuche gestaltete sich anfangs schwierig. „Zwei Frauen in einer Lebenspartnerschaft – da ist die Wohnung plötzlich schon vermietet. Ja wissen Sie, der Cousin, die Nichte. . .! Ja klar!“, berichten die Beiden. Dann trat unerwartet eine neue Situation ein. Ninas Vorgängerin, die Filialleiterin bei DM, zog zurück in die Heimat und Nina übernahm nicht nur den Job, sondern auch die Wohnung in Essenbach.  „Die Nachbarn sind unglaublich positiv auf uns zugegangen. Das hätten wir so nicht erwartet“, sagen Nina und Katharina erfreut. „Das ganze Umfeld hat uns mit positiver Neugier aufgenommen. Das finden wir super. Wir sind im Ort angekommen“, sagt Nina und Katharina stimmt zu. 

 

2016 heirateten sie standesamtlich im Essenbacher Rathaus. Damals hieß der Bund noch eingetragene Lebenspartnerschaft. „Die Standesbeamtin hat das sehr schön gemacht“, erinnern sie sich. Nach dem Beschluss des Bundestages wurde 2017 die Ehe für alle rechtlich gültig und verheiratete, homosexuelle Paare hatten nun auch das Recht, gemeinsam Kinder zu adoptieren. Katharina und Nina Willert unterschrieben 2020 ihren Ehevertrag. Da war Katharina schon mit Henry schwanger. „Jedes zehnte Paar in Deutschland wird durch künstliche Befruchtung schwanger. Es ist kein Hexenwerk. Man geht in die Kinderwunschklinik in München, durchläuft psychologische Test und hat viele Gespräche. Wenn die Ärzte beurteilen, dass man geeignet ist, kommt es zu einer Insemination, einer Samenübertragung. Über den Vater wissen wir nichts, bekamen auch keine Informationen, aber Henry darf ab seinem 16. Lebensjahr erfahren, wer sein biologischer Vater ist. Die Kinderwunschbehandlung bei gleichgeschlechtlichen Paaren übernimmt, außer in Rheinland-Pfalz und Berlin, keine Krankenkasse und man trägt die Kosten selbst. Rechtlich ist die Mutter eines Kindes nur die Frau, die das Kind geboren hat. Wäre mir bei der Geburt etwas passiert, hätte Nina keinen Anspruch auf das Kind gehabt. Den erwirbst du dir durch Adoption. Das geht aber erst acht Wochen nach der Geburt. Also haben wir uns durch einen Anwalt beraten lassen und ein Testament gemacht, dass Nina Henry bekommt, bis die Adoption greift. Es ist ein Papierkrieg und es dauert. Es wäre schöner, wenn man sich die Adoption sparen könnte und der Partner gleich anerkannt würde.“ 

 

Henry ist das egal. Er kräht fröhlich vor sich hin. Hauptsache seine Mamas spielen mit ihm. Gerade ist Nina dran mit Turmbau. Vor ein paar Wochen war Taufe. „Evangelisch“, sagt Nina, die römisch-katholisch erzogen und gläubig ist. Die Taufe bei unserer Familienstruktur geht nur in der evangelischen Kirche. Bei der Feier waren auch seine vielen Onkel, Neffen und Mamas Freunde da. Bei denen wird er sich später mal männlichen Rat holen, wenn’s nötig ist. Seine Mamas würden das gut finden. 

So ausgeglichen die Schwangerschaft war, so ausgeglichen ist auch Henry. Während der Coronazeit hatte er wenig Kontakt zu anderen Kindern. Aber das wird jetzt nachgeholt. Mama Katharina, Hündin Baily und er sind täglich unterwegs und treffen sich auch mit anderen Mamas. „Wir wissen, dass unsere Lebensform nicht der Norm entspricht“, sagt Katharina. „Es passiert schon auch, dass auf die Frage, wo ist der Papa und ich auf Nina deute und sage, das ist meine Frau, erst einmal ein verunsicherter Blick kommt, ob es richtig verstanden wurde und dann nicht mehr gegrüßt wird.“ Wir können das nicht ändern und akzeptieren es, wie es ist“, ergänzt Nina. „Zum Glück kommt das nicht oft vor. Ich bin quasi in einem Frauenhaushalt aufgewachsen. Die Männer waren auf dem Feld und meine Mama und meine Oma am Hof. Sie waren meine Ansprechpartner. Und was ist mit den Alleinerziehenden? Die Kinder wachsen auch ohne Vater auf. Nur meiner Oma, die mit neunzig Jahren verstorben ist, haben wir es nicht gesagt. Sie ist in einer Generation aufgewachsen, die das nicht verstanden hätte. Außerdem wäre sie mir mit der Mistgabel nachgelaufen“, sagt Nina und lacht herzlich.

Was auffällt im Hause Willert ist der Humor, die Ausgeglichenheit, Harmonie und Übereinstimmung. Es wird viel gelacht. Diese Balance überträgt sich auch auf den kleinen Henry, der mit Geduld und tapsigen Schritten unter den wachsamen Blicken von Baily sein Gleichgewicht trainiert. „Es ist anders, aber es ist gut“, sagt Nina. 

 

Es ist Liebe – so einfach ist das.