Steffi Kammermeier


Ich war nie „entweder-oder“, ich war immer „und, auch, sogar“


Sie ist die Frau hinter Beiträgen zu „Unter unserem Himmel“ und  „Lebenslinien“, einer Filmreihe, die wöchentlich im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt wird. Sie ist Filmemacherin, Regisseurin, Drehbuchautorin, schreibt Stücke und inszeniert diese für den Komödienstadel. 

Unter ihrer Regie spielten bayerische Urgesteine wie Ilse Neubauer, Johann Schuler Dieter Fischer – und sogar der legendäre Toni Berger. Aber das würde man von ihr selbst nie erfahren, wie ich bei unserem Treffen feststellte. 

 

Sie ist die Autorin von „Was hamma gessn?“, ein Buch über das Landleben in der „guten, alten Zeit“, gespickt mit vielen Rezepten und bebildert mit authentischen Fotos. 

Während ich in dem blau-weißen, liebevoll recherchierten Buch blättere, begebe ich mich gleichzeitig auf eine Zeitreise in das Ginglkofen und Gut Buch von Annodazumal, in dem die Scheren- und Messerschleifer noch von Hof zu Hof zogen und die Dienstbotenregeln klar definiert waren: „Du sollst nicht laut lachen und nur bei geschlossener Küchentür singen.“ Letzteres galt nicht für Ginglkofen, denn dort wurde viel gesungen. Ich begegne Dienstboten auf dem Ammerhof in Essenbach um 1920 und lerne, wie man eine „grieme Teigsuppn“ macht. Der prächtige ”Gmoa-Stier“ auf Seite 117 bringt mich zum Lachen, wie er so lammfromm dasteht und auf seine stierigen Kühe wartet. Vom Leben und vom Tod, von der Buttermilchsuppn bis zu den „Versoffenen Jungfraun“ geht meine Reise und endet bei den Fotos von Dr. Kammermeier, Tierarzt in Ginglkofen, ältester Bruder ihres Vaters  – und dem Foto der Autorin. Sympathisch schaut sie aus und  bodenständig. Ist sie das auch?  Die Filmemacherin aus München, die selbst von sich schreibt, dass sie immer die „Stoderin“ geblieben ist, auch wenn sie als Kind oft ihre Ferien in Buch und Ginglkofen verbracht hat. Was war ihre Triebfeder, dieses Buch zu schreiben? Diesen Fragen bin ich nachgegangen. 

 

 

Jetzt sitze ich ihr gegenüber, in einem Schwabinger Café und freue mich, auf eine  herzliche, offene Frau zu treffen, mit der man ohne den üblichen Small Talk sofort im Gespräch ist.

 

Sie ist in München geboren. Mit ihren Eltern, Vater Gynäkologe mit Praxis im Tal und Belegarzt an einem Krankenhaus am Rotkreuzplatz, Mutter Hausfrau und Bruder Matthias, zog sie als Vierjährige in das neue Haus nach Allach. Der Garten an der Würm – ein Paradies für Kinder, das Wohnhaus – ein hochmoderner Kurt-Ackermann-Bau mit Designermöbeln, die Gäste – Akademiker und Künstler. In dieser Idylle am Allacher Forst wächst sie auf und bleibt doch die „Stoderin“, die „Daherg’schmeckte“. „So, so, vom Dr. Kammermeier bist oane“, sagt die Molkereibesitzerin, als sie ihr die Milchkanne hinhält und der herablassende Tonfall verriet den Stempel, den sie ihr in dem Augenblick aufdrückte, der Tochter vom Doktor. Dabei war sie Kind, wollte nur dazugehören. In der ländlichen Weite, beim Schlittschuhlaufen, mit alten Autoreifen die Würm runterschippern und in ihren Träumen vom Zirkuspferd, sollte sie das Pony auf der Rückseite vom „Fix und Foxi“-Heft gewinnen,  fand sie ihre Freiheit. Sie war ein beobachtendes Kind, das mangels Kindergartenplatz heimlich die Gespräche der Erwachsenen belauschte. Besonders gern hörte sie Abt Odilo zu, als er zu Besuch bei ihren Eltern weilte. Aus Langeweile lernte sie schon als Fünfjährige mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder lesen und schreiben, was sie später in der Schule mit Sanktionen büßen musste. Gehasst von der Lehrerin wegen ihres Wissens, musste sie zwei Jahre allein in einer Bank sitzen. Wieder einmal zum Alleinsein gezwungen. Um damit besser fertig zu werden, entwickelte sie die pragmatische Strategie, die Leere zu nutzen und sich für möglichst viele Dinge zu interessieren.  „Wenn’s schon so sein soll, dann nutze ich die Zeit, um möglichst viel Wissen anzusammeln.“ Maßnahmen einer Gemaßregelten!

 

So war sicher das Ergebnis ihrer Strategie ein Grundpfeiler für die berufliche Vielseitigkeit der Steffi Kammermeier.  Sie ist in allen Sujets des Films zuhause. Vom Drehbuch bis zum fertigen Film – sie kennt jeden Handgriff. „Film, Buch, bei allem was ich anpacke, lasse ich mich nicht von Vorbildern leiten. Ich versuche, mich der Notwendigkeit der Geschichte unterzuordnen. Zum Leben gehört Demut. „Lebenslinien“ zum Beispiel ist ein Geschenk. Die Leute vertrauen mir ihre Geschichten an und ich gehe verantwortungsbewusst damit um.“ Mit der Textsammlung für „Was hamma gessn“ sieht sie es ähnlich. „Es ist ein Vermächtnis von Leuten, die sich erinnert haben. Ein Geschenk an die Generationen. Und meine Respektbezeugung und mein Dankeschön ist das Buch.“  (Anm.: Unter dem gleichen Titel gibt es auch einen Film. Beim BR erhältlich). Das hat sie schon immer interessiert – das Alte und Schwierige. Wenn es möglich wäre, würde sie am liebsten einmal als Beobachter eintauchen in das Ginglkofen von 1925, und wenn es nur für einen Tag wäre.

 

Der Titel „Was hamma gessn“ ist natürlich eine Aufforderung übers Essen zu sprechen. Und deshalb kann ich mich der Frage nicht erwehren: „Essen S’ denn gern, Frau Kammermeier?“ „Ja, des sieht ma doch scho“, sagt sie und lacht . Es ist ein tiefes Lachen, frei aus dem Bauch raus. Herzlich klingt’s, das Bauchlachen der Steffi Kammermeier und ansteckend. „Ich bin a Wurstkatz und a gscheid’s Geselchtes mag ich auch recht gern. Kutteln - nein, Kerbelsuppe - nein, mit rote Beete brauchst mir  auch nicht kommen. Aber, wenn mir was gut schmeckt, hätt ich am liebsten so a Kasterl an der Seite (sie deutet auf ihre Taille). Wenn ich gegessen habe, mach ich des Kasterl auf, dass des Essen verschwindet und Platz macht, damit ich des Gleiche nochmal essen kann, weil es mir so gut geschmeckt hat.“ 

„Der Endiviensalat ist Ihr Lieblingssalat“, mache ich sie auf eine Textzeile in ihrem Buch aufmerksam. „Wenn man den mit kochendem Wasser abschreckt, verliert er seine Bitterkeit. Die schlappe Konsistenz störte mich nicht“, rezitiere ich weiter und leite über auf die Frage: „Woher kommt Ihre Konsistenz?“ „Ich bin vor allem kein schlapper Endivien“, kontert sie und holt wieder dieses tiefe Lachen heraus, das so ansteckend ist. Humor hat sie und man erreicht sie auf direktem Weg. Sie weiß, was sie sagt und vor allem, was sie sagen will. „Wenn ich mich hängen lasse, hab ich nix vom Leben gehabt. Es macht keinen Sinn, nicht optimistisch zu sein. Es macht auch keinen Sinn, rückwärts zu gehen. Ich übernehme die Verantwortung für mein Leben selbst. Ich habe Schwierigkeiten mit Menschen, die immer den Anderen die Schuld geben. Auch eine Krise ist ein Wegbegleiter. Und bei aller Kreativität folgt ein Tun. Im Tun entdeckt man den Inhalt.“ Eine Seite ihres „Tuns“ besteht darin, Flüchtlingen zu helfen. Sie engagiert sich für „German Alliance For Civilian Assistance e.V.“. Über die Organisation ist im Internet zu lesen: „Wir bauen ein Dorf für syrische Flüchtlinge in der Türkei, damit eines Tages kein Flüchtling mehr die gefährliche Flucht übers Meer nach Europa wagen muss.“ Die Flüchtlinge stellen unter anderem Produkte und Baustoffe her, die sie zum Wiederaufbau Syriens mitnehmen können, wenn der Krieg endlich einmal zu Ende sein sollte. Konsequent und unbeirrt geht die Filmemacherin den Weg der Hilfe zur Selbsthilfe. „Die Leute wollen nicht Bittsteller sein. Sie möchten Arbeit.“ Sie setzt sich für das Individuum ein, unterstützt Einzelschicksale, sucht Ausbildungsplätze. „Hilfsbereitschaft bedeutet mir etwas. Jemanden weitergebracht zu haben, ist ein schönes Gefühl.“ 

 

Die 57-jährige Mutter von zwei erwachsenen Töchtern, Oma eines Enkelkindes und Kinderbuchautorin (Die Elfe Siribi und Bitte noch Eine – Wunschgeschichten zur guten Nacht) ist zupackend, willensstark, entgegenkommend, ohne leutselig zu sein, eine Frau ohne Maske, eine starke Frau.

„Mein Leben ist oft voller Fettnäpfchen, es passiert immer irgend etwas. Aber ich verstelle mich nicht, ich bin so und das kann jeder sehn“ sagt sie, der Familienmensch und geht ans Handy, weil gerade die Tochter anruft. 

„Natürlich hab ich „Germanys next Topmodel“ angeschaut. Ich wollte doch wissen, in welcher Realität meine Töchter leben.“ Wunschgeschichten zur guten Nacht waren mal. Da reichten ihr drei Worte und sie zauberte eine Gute-Nacht-Geschichte aus dem Ärmel.

Und was macht sie, die Kreative, wenn sie mal ihre Ruhe haben will? „Eine Komödie zu schreiben, ist manchmal verflucht schwierig. Schnell, witzig soll sie sein. Es gibt Zeiten, da schreibe ich drei bis vier Tage durch. Ein andermal fange ich gar nicht an, weil es sowieso im Papierkorb landen würde. Da geh ich dann ins Kaffeehaus, lese und denke an nichts. Im Café geht mich nix was an. Da erhole ich mich. Oder, wenn ich mal ganz abschalten will, fahre ich in unser 400 Jahre altes Haus nach Istrien, in der Nähe von Poreč. Das ist mein Rückzugsort.“ (Anm.: Wird auch vermietet. www.terramirna.de)

„Eitelkeit ist eine Todsünde“, sagte die Oma und die war erzkatholisch. Die musste es wissen. „Sei ned eitel.“  Das hat sie sich gemerkt fürs Leben und sich daran gehalten. Aber Lob von außen ist erlaubt, hoffe ich. Ein Lob hat ja auch nix mit Eitelkeit zu tun, sondern ist eine Anerkennung von Leistungen oder Verhaltensweisen, klärt mich Wikipedia auf. Da pflichte ich bei. Unbedingt. Und ergänze, dass’ a Herz hat, die Steffi Kammermeier, a weites Herz, mit viel Platz für die kleinen und wichtigen Dinge des Leben und für d’Leut.

 
Dieser Text ist erstmals erschienen im Essenbacher Weihnachtsfenster 2016